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„Ich träume für die Zukunft“
Ein vierhändiges Panorama über Carl Maria von Weber

Wann sich die Romantik endgültig als neue musikalische Kunstform durchsetzte und damit die Klassik ablöste, läßt sich nicht genau beantworten und wirft auch die Frage auf, inwieweit man von „der“ Romantik und „der“ Klassik überhaupt sprechen kann - war es doch ein langer und fließender Prozeß, der viele große Geister beeinflußte. So dehnte bereits Beethoven die tradierten Formen bis an deren Grenzen aus; er suchte danach, „alle bestimmten Gefühle zurückzulassen, um sich einer unaussprechlichen Sehnsucht hinzugeben“1, behielt dabei aber immer den klassischen Stil bei. Erst nach seinem Tod, als Mendelssohn, Chopin und Schumann das Ruder übernommen hatten, entstanden die ersten hochromantischen Werke. Diese musikalische Saat konnte aber nur deshalb so erfolgreich aufgehen, weil der Boden schon von zwei Komponisten vorbereitet worden war, die unterschiedlicher kaum sein konnten: Franz Schubert und Carl Maria von Weber.

Was beider Schaffen für Klavierduo betrifft, so bedarf es an dieser Stelle zu Schuberts substantiellen Werken wohl keiner weiteren Ausführung. Ganz anders steht es um Weber: seine vierhändigen Originalkompositionen, die mit der vorliegenden Einspielung zum ersten Mal komplett versammelt sind, dürften für die Allermeisten Neuland sein; sie waren es anfangs auch für uns. Nun haben sie uns lange begleitet und sich dabei als ungeahnte Bereicherung erwiesen, weil sie ein ganz eigenes Licht auf eine der spannendsten Epochen in der europäischen Musikgeschichte werfen. Hört und erlebt man diese Musik in ihrer Gesamtheit, so folgt man einem wachen und kreativen Kopf auf seinem Weg durch eine Zeit des fundamentalen Wandels in Kunst und Gesellschaft.

Als die Idee zu diesem Projekt kam, mußten wir uns erst einmal gründlich mit Weber vertraut machen und, ehrlich gesagt, auch einige Vorurteile ihm gegenüber abbauen. Eine differenzierte Rezeptionsästhetik scheint es bei Weber auch heute noch nicht zu geben, denn zwei starke Faktoren wirken sich immer noch zu seinen Ungunsten aus: erstens wird seine Musik als vermeintlich „romantisch“ unbewußt mit derjenigen der eingangs genannten Komponisten verglichen, wobei Weber meistens schlechter abschneidet. Vor allem aber gilt er in der allgemeinen Wahrnehmung nach wie vor als der Komponist, der „auf die Welt kam, um den Freischütz zu schreiben.“2 Diese Oper mit ihrer süffigen Mischung von Liebes- und Gruselgeschichte, gespickt mit patriotischen Elementen, wurde in Deutschland sehr bald zu einem nationalen Identifikationsmodell erhoben und überragte damit zwangsläufig alle anderen Werke ihres Schöpfers turmhoch.

Dabei war Weber vom Typ her eher ein filigraner Mensch, der mehr an poetischer Eleganz als an erhabener Größe interessiert war. So spielte auch Beethoven - ohne den das künstlerische Selbstbild von Schubert und vielen späteren Komponisten überhaupt nicht denkbar wäre - für ihn keine besondere Rolle: „Ich bin zu sehr in meinen Ansichten von Beethoven verschieden, als daß ich je mit ihm zusammenzutreffen glauben könnte.“3 Webers Kunst will vor allem erzählen und dabei für jedermann verständlich sein. Sie sucht zwar das Phantastische, aber genauso den harmonischen Einklang mit der Natur - ähnlich den Gedichten seines Zeitgenossen Joseph von Eichendorff. So erklärt sich etwa die Kürze der vierhändigen Stücke, die eigentlich Charakterskizzen ohne Titel sind. Ihre Qualität entspringt nicht einem kunstvoll erdachten formalen Prinzip, sondern der Anspruchshaltung eines neuen Genres: der Klavierminiatur, die von der atmosphärischen, kurzen Verdichtung einer ganz bestimmten Stimmung lebt und die wir später bei Mendelssohn, Schumann und Chopin wiederfinden.

Gerade Chopin hat Weber viel zu verdanken (tatsächlich war Weber einer der wenigen Komponisten, die er bewunderte). Hört man etwa das ebenfalls auf dieser Aufnahme vertretene zweite Klavierkonzert von Weber, vor allem den langsamen Satz mit seiner weit ausgreifenden Melodie, den virtuosen Arpeggien und Verzierungen, dann wird klar, worauf Chopin sich später in seinem eigenen Schaffen bereits stützen konnte - und man muß staunen über Webers visionäre romantische Dramatik im klassisch geprägten Umfeld des Jahres 1812. Da schrieb Beethoven gerade an seiner 7. Symphonie und Schubert kam in den Stimmbruch.

Diese Experimentierfreudigkeit wurde damals übrigens eher mit Unverständnis aufgenommen: „Es heißt ja, Bach hat das gemacht! Händel schrieb dieses nicht! Mozart erlaubte sich jenes! Wenn einem nun aber glücklicherweise etwas einfällt, was die noch nicht gemacht haben, so täte es not, man striche es gleich wieder weg, weil man mit nichts beweisen kann, daß es auch so sein darf. Welch ein Mangel an festem Halt und Stützpunkten von Haus aus in der Musik! Gefühl und wieder Gefühl - wer kann aber sagen: bei mir sitzt das rechte?“4

Webers Stilistik ist auch deswegen schwer einzuordnen, weil sich der Umgang mit dem romantischen Idiom erst einmal in ihm selbst verankern mußte. Das macht sich vor allem im Notentext bemerkbar, zu dem wir heutigen Interpreten wieder den richtigen Zugang finden müssen - möglicherweise ein weiterer Grund für die Unbekanntheit des vierhändigen Werks. So sperrt Weber besonders in den frühen Zyklen op.3 und op.10 seine ungezwungen blühenden Ideen in eine asketische Schreibweise ein, die nur wenige Hinweise gibt auf die sensible dynamische Gestaltung und den elastischen Spielfluß, den diese Musik braucht. Folgt man nun dieser strengen, fast frühklassisch wirkenden äußeren Erscheinung, so wird man leicht auf die falsche Fährte von festem Tempo, stabiler Periodik und geordneten Strukturen gelockt. Man muß sich schon trauen, mit den Noten viel freier umzugehen, als sie einem zu erlauben scheinen: erst dann kann Webers Musik aufleben, man bekommt ein sicheres Gefühl für den interpretatorischen Zugriff und spürt endlich diese sinnliche, poetische, eben romantische Schönheit, die in sich gleichzeitig das Alte und das Neue trägt: „Ich gedenke vergangener Zeit, ich träume für die Zukunft.“5

Zu den einzelnen Werken

1. Originalkompositionen

Bereits die „kleinen leichten Stücke“ des opus 3 offenbaren das enorme Talent des damals 15jährigen: die Musik bewegt sich zwar noch in den sicheren Bahnen der Klassik, ist aber eigenständig und handwerklich hochprofessionell. Weber besitzt schon hier den eleganten Feinschliff, der zu einem seiner Markenzeichen werden sollte - während die zeitgleich entstandenen Allemanden das Hemdsärmelige des „Deutschen Tanzes“ nicht verleugnen.

Im opus 10, entstanden 1809, agiert Weber nun völlig souverän mit den klanglichen und pianistischen Möglichkeiten des vierhändigen Klaviers. Bemerkenswert ist sein Einfallsreichtum, sei es in den Melodien, in der Vielfalt der einzelnen Stücke oder im Reichtum der Farben, mit denen er gerade die ruhigen Momente vertieft, etwa die geheimnisvolle Stimmung des Andantino con moto oder die entspannte Kantilene des Adagio.

Wie sehr sich Webers Können in den folgenden zehn Jahre gesteigert hat, zeigen die acht Stücke des opus 60. In dieser Sammlung stehen meisterhaft gefertigte Exemplare des virtuosen klassischen Stils (etwa das Allegro oder das abschließende Rondo) neben hochempfindsamer Musik, deren fragile Klangsüchtigkeit wirklich weit in die Zukunft weist. So spürt man etwa im sanften Herzklopfen des Alla Siciliana, was Debussy gemeint haben mag mit der Bemerkung, daß Weber „vielleicht als allererster beunruhigt war durch die Beziehung, die es zwischen der unermeßlichen Seele der Natur und der Seele eines Menschen geben muß“.6

2. Transkriptionen und Paraphrasen

Klaviertranskriptionen von Orchesterwerken werden immer noch argwöhnisch beäugt, in vielen Fällen auch absolut zu Recht. Für uns ging es bei den hier ausgewählten Ouvertüren aber weniger um die Frage des genuinen Klangs, sondern um ein möglichst vielfältiges Porträt von Weber und seiner Zeit, in der das häusliche Musizieren (mit dem vierhändige Arrangements untrennbar verbunden waren) mindestens den gleichen Anteil am musikalischen Leben einnahm wie konzertante Aufführungen.

Witzigerweise erwies sich gerade der Orchestergraben als üppig blühende pianistische Spielwiese: so macht etwa Abu Hassan, ein Tribut an die damalige Vorliebe für die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht, in seiner spritzigen Virtuosität großen Spaß. Silvana dagegen hat einen fast mozartischen Klang und ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Weber klassische Formen mit romantischem Inhalt verbinden konnte. Wichtige Handlungsträger dieser Oper sind übrigens der deutsche Wald und eine Nymphe mit Zauberkraft, damit bildet Silvana quasi die Vorstufe zum Freischütz, der in dieser Sammlung natürlich nicht fehlen darf. Die große klangliche Weite dieser Ouvertüre war für uns nur an zwei Klavieren vorstellbar, was letztlich zu unserer eigenen Bearbeitung führte.

Im Fall von Euryanthe und Oberon hatten wir das Glück, an die Noten der Hommage à Weber zu kommen, in der Ignaz Moscheles Themen dieser Opern verarbeitet hat. Dieses Werk darf sich wirklich als Grand Duo bezeichnen: geschaffen von einem der herausragenden Pianisten seiner Zeit, ist es kein Orchestersurrogat, sondern echte und anspruchsvolle Klaviermusik für zwei Spieler. Berührend ist der langsame Satz, in dem Moscheles aus der Romanze „Unter blühn’den Mandelbäumen“ aus Euryanthe ein Nocturne von versunkener Schönheit zaubert.

Mit der vierhändigen Fassung des bereits erwähnten zweiten Klavierkonzerts tritt Friedrich Wilhelm Jähns in Erscheinung, der als Verleger und Biograph wahrscheinlich die wichtigste Rolle in der Weber-Forschung gespielt hat. Selbst Musiker und Komponist, kombinierte er in dieser selbst für das abenteuerlustige 19. Jahrhundert ungewöhnlichen Transkription den Solo- und Orchesterpart auf demselben Instrument, was den Ausführenden einiges an Akrobatik abverlangt.

Die Kontrapunktische Paraphrase über Webers „Aufforderung zum Tanz“ von Leopold Godowsky stellt in spieltechnischer Hinsicht ein Gipfelwerk in der Literatur für zwei Klaviere dar. Godowsky knüpft mit allen verfügbaren klanglichen Mitteln des frühen 20. Jahrhunderts einen dichten kontrapunktischen Teppich aus den Themen von Webers Rondo und entfesselt gleichzeitig einen Walzerrausch, der das Original noch um etliches an Brillanz, Wendigkeit und Sinnenfreude übertrumpft.

Lucia Huang & Sebastian Euler



1 aus E.T.A. Hoffmann: Kreisleriana, Kap. 4: Beethovens Instrumentalmusik, 1814
2 Hans Pfitzner zu Webers 100. Todestag 1926
3 Brief von Weber an Hans-Georg Nägeli vom 21. Mai 1810
4 C. M. von Weber: Tonkünstlers Leben. Romanfragment, veröffentlicht 1828
5 ebenda
6 Claude Debussy: Monsieur Croche Antidillettante, 1921