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Robert Schumanns Œuvre für Klavierduo wird bereichert durch die Bearbeitung eines seiner wichtigsten Kammermusikwerke, das Klavierquintett op. 44. Johannes Brahms hatte diese Komposition für Klavier zu vier Händen arrangiert, eine Fassung, die Clara Schumann mehrmals öffentlich aufgeführt hat, die jedoch nicht überliefert ist. Claras eigene Bearbeitung erschien dagegen im Druck und liegt hier als Ersteinspielung vor. Einen Hauch orientalischen Kolorits tragen Robert Schumanns „Bilder aus Osten“, während „Andante und Variationen“ den Komponisten von seiner lyrisch-virtuosen, weltmännisch geprägten Seite zeigen. Das Münchner Duo d’Accord gewann im Jahr 2000 den zweiten Preis im Internationalen ARD-Musikwettbewerb. Heute konzertiert das Duo in ganz Europa, USA und Asien. Das Debüt-Album des Duo d’Accord mit Klavierduo-Werken von Max Reger (OC 353) wurde in der Fachpresse mit Höchstbewertungen ausgezeichnet.

Die Freiheit im Rahmen der Begrenzung finden
Schumann-Einspielungen für zwei Klaviere bzw. vier Hände mit dem Duo d’Accord

Robert Schumanns (1810–56) lyrisch-himmelstürmendes Quintett für Klavier und Streichquartett Es-Dur op. 44 (entstanden 1842) in der vierhändigen Bearbeitung Clara Schumanns (1819–96), das innige Andante und Variationen B-Dur op. 46 für zwei Klaviere (1843), die Bilder aus Osten op. 66 (1848): Nach der von Klassikfans und Fachpresse euphorisch aufgenommenen Reger-Einspielung beweist das Duo d’Accord nun auch mit seiner zweiten CD den Mut zu außergewöhnlichem, gleichwohl höchst reizvollem Repertoire.

Die selten erklingende Quintett-Bearbeitung ist ein fast vergessenes Meisterwerk, das, wie diese Aufnahme – die Ersteinspielung! – deutlich macht, auch jenseits der Zirkel der Raritäten-füchse seinen Platz im Konzertrepertoire finden sollte. Bereits Johannes Brahms hatte das Werk, das Clara Schumann besonders liebte und u.a. auf ihrer Russland-Tournee 1844 mehrfach zur Aufführung brachte, 1854 für vier Hände bearbeitet. Es liegt nahe, dass es sich bei ihrer Bearbeitung, die 1857 entstand und 1858 bei Breitkopf & Härtel in Leipzig erschien, um eine erleichterte Version der eminent schweren, heute verschollenen vierhändigen Fassung von Brahms handelt, wie der Schumann-Forscher Joachim Draheim vermutet. Sie atmet auch in der Fassung für vier Hände mit jeder Pore den Geist des Schumannschen Originals: Jene unverwechselbare Mischung aus Vorwärtsdrängen und träumerischer Rückwärtsgewandtheit, die gemeinhin mit Florestan und Eusebius assoziiert wird, den beiden Fantasiefiguren Schumanns, die die frühen Klavierwerke wie Carnaval op. 9 oder Davidsbündlertänze op. 6 durchziehen und als Synonym für Schumanns „romantische Zerrissenheit“ gebraucht werden.

Eine solche Deutung ist freilich einseitig, denn als Schumann zu komponieren begann, war die literarische Romantik am Ende und die Aufbruchsstimmung der Frühromantiker um die Brüder Schlegel und Novalis tiefer Resignation oder dem Rückzug auf sich selbst gewichen. Eher bietet sich eine Deutung aus dem Geist der Restaurationszeit zwischen Wiener Kongress 1815 und bürgerlicher Revolution 1848 an, die auf eigentümliche Weise das Gefühl des Epigonalen mit der Sehnsucht nach „eine[r] neue[n] poetische[n] Zeit“ (Schumann) verbindet. Es ist eine Epoche im „Widerspruch zwischen den Kräften der Bewegung und den Kräften der Beharrung“ (Dieter Langewiesche), die nicht nur in Schumanns Aufzeichnungen, Aufsätzen und literarischen Arbeiten zahlreich Ausdruck findet, sondern auch jenes Spannungsfeld einer Gleichzeitigkeit der Gegensätze erzeugt, das sein kompositorisches OEuvre in weiten Teilen prägt und sich in den auf der vorliegenden CD versammelten Werken beispielhaft vernehmen lässt: Ein Kaleidoskop der Stimmungen, bei dem konträre Gefühle und Ausdruckswerte wie Glück und Schmerz, Ernst und Ironie, Hoffnung und Enttäuschung, Aufbruchsstimmung und Resignation, Intimes und Monumentales häufig nicht allein im zeitlichen Nacheinander, sondern in kompromissloser Gleichzeitigkeit vernehmbar sind.

Andante und Variationen und Bilder aus Osten bilden fraglos den Gipfelpunkt von Schumanns Werk für vier Hände bzw. zwei Klaviere. Andante und Variationen war ursprünglich für die Besetzung zwei Klaviere, zwei Celli und Horn geschrieben, wurde von Schumann jedoch für zwei Klaviere umgearbeitet und war im 19. Jahrhundert lange Zeit das einzige wirklich berühmte Werk für zwei Klaviere, das auch Clara Schumann mit Zelebritäten wie Brahms, Anton Rubinstein und Ignaz Moscheles zu zahlreichen Aufführungen brachte. Eher der Sphäre lyrischer Dur-Gelöstheit zuzuordnen, elegant und in seiner taktvollen Virtuosität ungemein wirkungsvoll, zeigt Andante und Variationen Schumanns weltmännische Seite. Einen starken Kontrast bilden die überwiegend in Moll gehaltenen Bilder aus Osten, sechs von Friedrich Rückerts Nachdichtung arabischer Erzählungen Makamen des Hariri inspirierte Impromptus, die orientalisches Lokalkolorit assoziieren, freilich Schumanns unverwechselbarer kompositorischer Sprache anverwandelt.

Shao-Yin Huang und Sebastian Euler unterstreichen, welch höchst sensibler Ausdeutung diese Schumann-Werke bedürfen: Uns reizt und fordert besonders, als Duo Schumanns Freiheit des Empfindens für den Hörer erlebbar zu machen, zugleich aber den Form- und Strukturgesetzen der Werke Rechnung zu tragen. Da müssen wir beständig Grenzen ausloten. Gerade in op. 46 und op. 66 verläuft die Entwicklung recht übersichtlich, erst beim genauen Hinschauen entdeckt man die Dimensionen, die sich unter der scheinbar simplen Oberfläche verbergen. Es ist ähnlich wie bei Schubert: Man wandert ständig auf dem schmalen Grat zwischen Andeuten und Auskosten, zwischen dem Beibehalten des natürlichen Flusses und dem dosierten Eingreifen in diesen Fluss.

So muss man genau erspüren, was der andere gerade macht, erahnen, was kommt, und das ins eigene Spiel aufnehmen. Auch beim Pedalisieren muss man ungewöhnlich viel aus dem Moment heraus agieren, je nachdem wie die Musik gerade schwingt. Wichtig war uns, die Durchsichtigkeit der Werke zu bewahren, denn einen orchestralen Klang à la Brahms wollten wir nicht, sondern eben einen unverkennbaren Schumann-Ton. Da bedurfte es einiger Zeit, bis wir die Balance fanden. Aber wir sind in dieses gemeinsame Empfinden von Schumanns Sprache immer tiefer hineingekommen, und irgendwann lief es dann von allein, jenseits von Gesten und Einsätzen. Darüber freuen wir uns auch am meisten: dass es uns gemeinsam gelungen ist, die Musik einfach aus sich selbst heraus entstehen zu lassen.

Leander Hotaki

(Das Zitat entstammt einem Interview des Autors mit dem Duo d’Accord)